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Podiumsgäste und Moderatorin (v.l.): Diplom-Psychologe Andreas H. Abel, Interventionsbeauftragter Thomas Wendland, Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz, Moderatorin Christina Etrich, Michael Heltner (Vorstand Betroffenenvertretung), Reinhold Harnisch (Sprecher und Vorsitzender Vorstand Betroffenenvertretung) und Generalvikar Dr. Michael Bredeck. © Till Kupitz / Erzbistum Paderborn
18.11.2025

„Wir wollen Hürden abbauen“

Digitale Podiumsdiskussion von Erzbistum Paderborn und Betroffenenvertretung macht Betroffenen Mut

Paderborn (pdp). Wie kann im Erzbistum Paderborn ein Umfeld geschaffen werden für Betroffene sexualisierter Gewalt, damit sie den Schritt aus dem Dunkel ans Licht wagen? Sprich: Wie können Menschen ermutigt werden, über ihr Leid zu sprechen? Diese Fragen standen am Montagabend, 17. November 2025, im Zentrum einer digitalen Podiumsdiskussion mit Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz, Vorstandmitgliedern der Betroffenenvertretung und weiteren Fachleuten. Das Podium, das im Livestream übertragen wurde, war Teil der gemeinsamen Dunkelfeldinitiative des Erzbistums Paderborn und der Betroffenenvertretung.

Die Podiumsdiskussion am Vorabend des Gedenktages für Betroffene sexualisierter Gewalt (18. November) nahm in den Blick, wie betroffene Menschen Unterstützung erfahren können. Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz, Generalvikar Dr. Michael Bredeck und der Interventionsbeauftragte Thomas Wendland standen im Austausch mit Reinhold Harnisch, Sprecher und Vorsitzender des Vorstandes der Betroffenenvertretung, und dessen Vorstandskollegen Michael Heltner. Diplom-Psychologe Andreas H. Abel vom Therapeuten-Netzwerk Bielefeld komplettierte die Runde.

„Es muss darüber gesprochen werden!“

Moderatorin Christina Etrich begrüßte die Podiumsgäste und die Zuschauenden zu einer Diskussion „zu einem schwierigen Thema mit ganz viel Leid dahinter“. Dieses Leid wurde in den Anfangsstatements von Reinhold Harnisch und Michael Heltner deutlich: „Ich fühlte mich als Kind allein mit meiner Scham“, beschrieb Reinhold Harnisch. „Weil keiner mir glaubte, habe ich angefangen, zu schweigen.“ Michael Heltner ergänzte: „Die Öffentlichkeit, die wir heute haben, gab es für mich als Kind nicht. Es muss darüber gesprochen werden.“ Die Betroffenenvertretung, die sich 2022 gegründet hat, ist ein Raum, in dem Betroffene sich auch gegenseitig Halt geben.

Es berühre ihn jedes Mal, wenn er im Gespräch mit Betroffenen sei, machte Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz deutlich – zum Teil sei er bei diesen Gesprächen auch sprachlos. „Wir müssen betroffenen Menschen das Gefühl geben: Wir glauben dir, wenn du dein Leid ins Wort bringst und wir gehen gut mit dir um.“ Gefragt nach den Gründen, warum sexueller Missbrauch und dessen Vertuschen passieren konnte, benannte der Paderborner Erzbischof einen „grundlegenden Abwehr-Reflex“ als entscheidende Ursache, „sowohl institutionell als auch persönlich“, ebenso wie Machtdynamiken. „Auf dem Weg des Dazulernens dürfen wir den Umgang mit sexualisierter Gewalt nicht im geschlossenen System halten. Wir müssen die Besprechbarkeit des Themas in eine größere Öffentlichkeit bringen. Dieses Podium ist ein erster Schritt dazu“, so Erzbischof Dr. Bentz.

Vertrauen schaffen und Zeit geben

Thomas Wendland stellte als Interventionsbeauftragter die Arbeit seines Teams vor, zu dem Betroffene jederzeit Kontakt aufnehmen können: „Wir hören zu und wir gehen allem nach.“ Seine Mitarbeitenden seien allesamt geschult im Umgang mit Traumata. „Es kommt vor, dass Menschen mit uns sprechen, noch bevor sie mit ihren Angehörigen über ihr Leid gesprochen haben. Wir wollen Vertrauen schaffen und Zeit geben. Und wenn jemand ein persönliches Gespräch zuhause wünscht, machen wir auch das möglich“, erklärte Wendland. Neben den Zuständigkeiten des Teams Intervention für Kinder und minderjährige Betroffene sowie schutzbedürftige Erwachsene verwies der Interventionsbeauftragte auch auf einen neuen Beauftragten im Erzbistum, der sich explizit um Fälle Geistlichen Missbrauchs kümmert.

Dass es ein gewisses Maß an Bürokratie brauche, um beispielsweise einen Antrag auf Leistungen zur Anerkennung des Leids zu stellen, lasse sich nicht vermeiden, erläuterte Generalvikar Dr. Michael Bredeck. „Wir bemühen uns um Niedrigschwelligkeit, aber es braucht geregelte Verfahrenswege“, so der Generalvikar. Betroffene bräuchten neben Empathie auch ein „Gefühl von Sicherheit, das verlässliche Verfahrenswege garantieren“, zeigte sich auch Erzbischof Dr. Bentz überzeugt. „Transparenz ist wichtig. Willkür war lange genug das Prinzip, das viele Betroffene erleben mussten.“

Hilfe bei der Therapieplatz-Suche

Therapeutische Hilfe könne nach erlittenem Missbrauch eine wichtige Option sein, unterstrich Diplom-Psychologe Andreas H. Abel. Therapieplätze seien aber generell rar. „Deshalb haben Praxen sich in Selbstorganisation zu Netzwerken zusammengeschlossen, um gut voneinander zu wissen.“ Das Erzbistum Paderborn und die Betroffenenvertretung unterstützen seit Sommer 2025 in Kooperation mit dem Therapeuten-Netzwerk Bielefeld Betroffene bei der Therapieplatzsuche. „Wir lotsen durch das Hilfssystem, geben zum Beispiel Infos über Kosten und mögliche Kostenträger“, veranschaulichte Abel. „Die Qualität der psychologischen Unterstützung ist enorm wichtig für Betroffene. Deshalb sind wir dem Erzbistum sehr dankbar, dass wir dieses Angebot gemeinsam ermöglichen“, erklärte Reinhold Harnisch.

Gute und enge Kommunikation

Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz bestätigte die „gute und enge Kommunikation der Betroffenenvertretung“. Generalvikar Dr. Bredeck stellte die unterschiedlichen Rollen heraus – aber ebenso das gemeinsam geteilte Anliegen, „aufeinander zuzugehen im Interesse der Betroffenen“. Es habe sich in den letzten Jahren im Dialog mit dem Erzbistum Paderborn unheimlich viel getan, stellte auch Harnisch fest.

An vielen Formaten sei gemeinsam etwas entwickelt worden. Neben dem Lotsen-Dienst des Therapeuten-Netzwerks sei auch bei der Ehe-, Familien- und Lebensberatung ein neues Angebot für Angehörige eingerichtet worden. Ein Seelsorge-Netzwerk für Betroffene sei im Aufbau. „Es ist uns wichtig, so viele Hürden wir möglich für Betroffene abzubauen“, betonte der Paderborner Erzbischof. Auch die Präventionsarbeit des Erzbistums Paderborn sei ein wichtiger Baustein, „bei dem wir viel gelernt und aufgebaut haben“, erklärte Generalvikar Dr. Michael Bredeck: „Zum jetzigen Zeitpunkt haben mehr als 100.000 Personen an Schulungen im Bereich der Prävention teilgenommen für eine Kultur der Achtsamkeit.“

Aufdecken und Begreifen

Ein wichtiges Element der Aufarbeitung im Erzbistum Paderborn ist nicht zuletzt das geplante Mahnmal im Paderborner Dom: „Ein solches Mahnmal muss wirklich ernst gemeint sein und darf kein Alibi sein“, verdeutlichte Andreas H. Abel. „Aber hier in Paderborn handelt es sich um eine echte Anerkenntnis des Leids.“ Aufdecken und Begreifen würden durch die Konzeption des Entwurfs von Künstler Christoph Brech zur händischen Erfahrung werden, gab Reinhold Harnisch einen Vorgeschmack. Das Mahnmal solle Missbrauch als Thema auch in die Gesellschaft tragen, denn Missbrauch sei ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Was bleibt an Wünschen, wollte Moderatorin Christina Etrich zum Abschluss der Diskussion von ihren Gästen wissen. „Ich wünsche mir weitere Schritte der Enttabuisierung, um auch Menschen im Umfeld von Betroffenen nicht allein zu lassen“, formulierte Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz. „Wir möchten den begonnenen Weg weitergehen, um Leid zu verhindern, dass wir als Kinder erlebt haben“, setzten Reinhold Harnisch und Michael Heltner den berührenden Schlusspunkt des Gesprächs.

Gedenken im Dom und in den Kirchengemeinden

Am Gedenktag für Betroffene sexualisierter Gewalt, Dienstag, 18. November, wird die Geschäftsstelle der Betroffenenvertretung in Paderborn eröffnet. Sie steht von 16 bis 18.30 Uhr allen Interessierten zum Besuch offen (An der Alten Synagoge 6, 33098 Paderborn). Um 19 Uhr feiert Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz mit Betroffenen und den Mitgliedern der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) einen Gedenkgottesdienst im Paderborner Dom. Alle Kirchengemeinden im Erzbistum Paderborn wurden eingeladen, in den Gottesdiensten am Sonntag vor oder nach dem 18. November eine Kerze zu entzünden – symbolisch für die Erhellung des Dunkelfeldes und für die Solidarität mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt mitten in der Gemeinschaft der Kirche.

Dunkelfeldinitiative – Aus dem Dunkel ans Licht

Die Dunkelfeldinitiative ist eine gemeinsame Aktion der Betroffenenvertretung und des Erzbistums Paderborn. Sie hat das Ziel, das Schweigen über sexualisierte Gewalt zu brechen und Räume zu schaffen, in denen Betroffene gehört, ernst genommen und unterstützt werden. Der Name „Dunkelfeld“ verweist auf jene Fälle, die bislang nicht bekannt sind oder gemeldet wurden.

Weitere Informationen

https://www.betroffene-paderborn.de/site/register

https://www.erzbistum-paderborn.de/beratung-hilfe/hilfe-bei-missbrauch/