Aktuelles

11.10.2023

Das Dekanat Hochsauerland Ost sendet Kundschafterinnen und Kundschafter nach Berlin

„Denn du führst mich hinaus in die Weite“

27 Sauerländer machten sich am 29.September per Bundesbahn auf den Weg nach Berlin, um dort kirchliche und soziale Projekte kennenzulernen. Die Kundschafter Fahrt wurde als Pilotprojekt des Dekanats Hochsauerland-Ost vom Erzbistum gefördert und richtete sich an die Pfarrgemeinderäte und Caritaskonferenzen.

Zu den Grundfunktionen von Kirche gehören neben der Liturgie ein missionarischer und diakonischer Auftrag. Was hinter den Begriffen „missionarisch“ und „diakonisch“ steckt und welches Engagement sich daraus für die ländlichen Gemeinden ergibt, wollten die Sauerländer in der Großstadt erkunden.

Untergebracht in einem einfachen Pilgerhaus begann jeder Tag mit einem Morgenimpuls und endete abends mit einer Komplet in der Kapelle. Wir besuchten die Suppenküche der Franziskaner in Pankow und backten anschließend Waffeln für die Gäste, wie die Menschen, die hier Hilfe suchen, genannt werden. Berührend war das Lächeln und „Danke“ sagen für eine Waffel. Bei den Franziskanern können die Gäste duschen, ihre Wäsche reinigen lassen und auch ein Haarschnitt gehört zum Angebot.

Klaus, ein ehemaliger Obdachloser, der die Gruppe durch die Orte, an denen er sich sieben Jahre bewegt hatte, nahm das Angebot der Franziskaner damals gerne an und unterstützt sie jetzt finanziell durch einen Teil seines Trinkgeldes. Zurzeit führt er Gruppen durch Berlin und erzählt über Obdachlosigkeit und auch seine eigene Geschichte. Klaus glitt schleichend in die Obdachlosigkeit. Er wollte von Brandenburg in den Süden, um eine neue Arbeit zu finden. Dabei ist er in Berlin hängen geblieben und war schon zuvor alkoholkrank. Das Leben auf der Straße schildert er als einen täglichen Kampf ums Überleben. Mit dem Sammeln von Flaschen hat er sich finanziell über Wasser gehalten und seinen Alkoholkonsum finanziert. Für Klaus war es immer wichtig, nicht als Obdachloser aufzufallen. So bewegte er sich als graue Maus durch Berlin. Nach einiger Zeit fand er auf einem Kinderspielplatz eine Schlafmöglichkeit, wo eine Familie ihn bemerkte und zum Mittagessen einlud – aber mit der Maßgabe, ohne Fahne zu kommen. Mittlerweile wurde die Familie zur Patenfamilie, die Klaus aber nicht disziplinierte, sondern ihn in seinem Sosein annahm. Klaus wohnt seit vier Jahren in einer eigenen Wohnung und ist dankbar für alle Hilfe, die er bekam.

In Friedrichshain lernten wir eine kirchliche Gruppe kennen, die sich schwerpunktmäßig um geflüchtete Menschen kümmert. Bewegt erzählten sie von der Gewährung von Kirchenasyl und der Nacht- und Nebelaktion der Abschiebung, die sie aber letztlich verhindern konnten.

Eine Kirchengemeinde in Neukölln konzentriert sich vor allem auf kulturelle Veranstaltungen, eine andere ist mehr international unterwegs und fördert so den Dialog mit den Religionen, vor allem mit den Muslimen, die in diesem Stadtteil vermehrt leben.  Daneben gibt es die Clemenskirche, eine Anbetungskirche, in der durchgehend 24 Stunden gebetet wird.

Beeindruckend war auch der Besuch auf dem Friedhof Hohenschönhausen mit seinem Friedhofsgeflüster. Ehrenamtliche Mitarbeiter erzählten von dem Projekt, bei dem Trauernden bei einer Tasse Tee oder Kaffee Austausch und Gespräch ermöglicht wird. So berichtete ein 80Jähriger, dessen Frau vor einem Jahr gestorben war, wie wichtig diese Einrichtung für ihn ist und dass er jetzt zweimal wöchentlich als Ehrenamtler zum Gespräch bereitsteht. Dieses Projekt wird von einem Pastoralreferenten betreut und von vielen Ehrenamtlern mitgetragen. Über Straßenexerzitien informierten drei Ehrenamtliche.

Ziel dieser Exerzitien ist es, im normalen Alltag auf der Straße zu sich selbst zu finden. Mit einem Morgenimpuls beginnt der Tag, das gemeinsame Kochen, Essen und Reflektieren am Abend bilden den Abschluss. Der Jesuit und Arbeiterpriester Christian Herwartz gilt als Begründer der Straßenexerzitien.

„Wenn vor oder nach einem Gottesdienst nichts für die Menschen geschieht, dann ist der Gottesdienst überflüssig“, so formulierte Rupert Neudeck, der Gründer der Cap Anamur, den Auftrag von Kirche. Hautnah konnten die Sauerländer in den vier Tagen Orte erleben, wie und wo Kirche heute missionarisch und diakonisch in Berlin unterwegs ist. Bewegend war vor allem die Begegnung mit Klaus, der als Obdachloser seine Selbstachtung behalten hat und uns so indirekt zeigt, dass auch Obdachlosen mit Würde zu begegnen ist.

Leben nicht auch in unseren Sauerländer Gemeinden Menschen am Rande? Gibt es nicht auch bei uns Menschen, die um einen geliebten Verstorbenen trauern und sich einsam und verloren fühlen? Und wie begegnen wir den geflüchteten Menschen, die im Sauerland Zuflucht suchen? Was wissen wir über deren Religion den Islam? Und wie gehen wir mit einer möglichen Umwidmung von Kirchen um?

Das sind die dringenden Fragen, die wir Kundschafter aus Berlin mitgebracht haben und denen wir uns stellen müssen.


Erlebnisbericht von Elisabeth Hoffmann-Weber, Olsberg-Bruchhausen